Tochter eines Widerstandskämpfers in unserer Schule zu Gast

Nikolaus Groß wurde von den Nazis im Januar 1945 erhängt. Er sei – so seine Richter – im Verrat mit geschwommen und müsse deshalb auch darin ertrinken. Tatsächlich war er eine Persönlichkeit, die man sich zum Vorbild nehmen kann: Der gläubige Christ verweigerte sich den Forderungen der Nationalsozialisten und spielte auch bei dem Attentat gegen Hitler im Juli 1944 eine Rolle. Wir können kaum ermessen, was es heißt, in der damaligen Zeit gelebt zu haben, nicht mitgemacht zu haben beim Wahnsinn der Nazis. Wie schwer muss es für Nikolaus Groß gewesen sein, der eine Frau hatte und sieben Kinder.

Vom Leben der Familie unter diesen politischen Verhältnissen erzählte uns am 21.3.2012 eine seiner Töchter. Marianne Reichartz, die heute 84 Jahre alt ist, war 16, als ihr Vater hingerichtet wurde. Sie erzählte, wie schwer es für sie und ihre kleineren Geschwister war, „nicht dazu zu gehören“, nicht zu verstehen, warum sie nicht mitmachen durften bei der „Hitlerjugend“ und im „Bund deutscher Mädel“. Sie berichtete vom Leben in den Luftschutzbunkern und vom zerstörten Köln, darüber, wie alle Kölner Schüler aus der zerbombten Stadt an die Ostsee gebracht wurden, um dann dort dem Einfluss der Nazis noch mehr ausgesetzt zu sein. „Vor allem sollte man gehorchen“, erinnert sich Marianne Reichartz noch heute.

Dass Mitschüler und Nachbarn plötzlich einen „Judenstern“ tragen mussten, erfüllte die junge Marianne Reichartz mit tiefem Mitleid. Sie hörte mit an, wie eine jüdische Bekannte zu ihrer Mutter sagte: „Die machen uns alle tot!“ Die Züge, mit denen die Juden in die Vernichtungslager gebracht wurden, seien für sie „Züge ins Nirgendwo“ gewesen. Was sie über Hitler gedacht habe, sei so „abgrundtief“ gewesen, dass es dafür keine Worte gebe.

Niemals wird Frau Reichartz vergessen, wie ihr Vater am 12.August 1944 von den Nazis verhaftet wurde. Sie holten ihn ab in der Wohnung; auf dem Fußboden spielte ihre fünfjährige Schwester. Als die Männer mit ihrem Vater die Wohnung verließen, rief die Kleine ihm nach: „Vater, wohin gehst Du?“ Dass er nicht wiederkommen würde, konnten die Kinder nicht ahnen.

Frau Reichartz hat mit ihrer Offenheit, ihrer Warmherzigkeit und ihrer Freundlichkeit unsere Herzen erobert. Besonders eine ihrer Aussagen sollte uns eine Mahnung sein und uns im Gedächtnis bleiben: „Der Staat damals hat uns zum Schweigen gebracht. Das Schönste nach dem Krieg war, dass wir diskutieren durften!“

Wir bedanken uns bei Herrn Gülmez und seiner Geschichtsgruppe sehr dafür, dass sie Frau Reichartz als Zeitzeugin zu einer Geschichtsstunde ganz eigener Art eingeladen haben. Mitglieder der Projektgruppe waren: Aus der 9c Larissa Heinritz, Eva Killmann und Marie-Charlott Goldbach, aus der 10a Tim Häuslein, Yascha Weckwerth und Carl-Henry Quings. Aus der 10b Lisa Blaszcyk, Özenc Cetinkaya, Cevdet Canimana und Paul Cannata. Aus der 10c Daniel Mlekow.